Kurzsichtig statt nachhaltig
Die weltweite Covid-19 Situation macht nach meiner Ansicht sechs Dinge deutlich:
- das gesellschaftliche Handeln ist in großen Teilen auf Kurzzeitziele ausgerichtet
- schnelle Einführung von Lockerungen, Öffnung der Wirtschaft und erhoffte Wahlsiege sind wichtiger als die nachhaltige Eindämmung der Epidemie
- erreichte und erreichbare Fortschritte werden verspielt, weil Geduld und eine Orientierung am Gemeinwohl fehlen
- in Europa und den USA wird ein extrem national-geographisch eingeengter Bezug erkennbar, ein Europazentrismus und USA-Zentrismus, der die Chancen verspielt, von anderen Erfahrungen zu lernen
- der Bezug zu anderen Gefahren (z.B. Kimawandel) und dem, was aus Covid-19 für deren Prävention und Management gelernt werden könnte oder müsste, wird nicht gezogen
- das kritiklose und rückwärtsgewandte Ziel “zurück zum weiter so” dominiert die gesellschaftliche Diskussion und Praxis
In diesem Artikel diskutiere ich, wie eine eigentlich zu Optimismus Anlass gebende Ausgangs-Konstellation (Eindämmbarkeit der Erkrankung) zu weltweitem kollektiven Versagen führt, welches alle gefährdet, einschließlich der Erfolge einiger positiver Ausnahmestaaten.
Covid-19 zeigt, dass die vorhandenen gesellschaftlich-politischen und global vernetzten Systeme nicht tragfähig sind. Sie können weder eine aufhaltbare Pandemie aufhalten noch den anderen Gefahren, wie dem Klimawandel, effektiv begegnen. Gerade in Europa und den USA müssten nach meiner Ansicht Selbstkritik und Wandel an die Stelle von Selbstlob und Überheblichkeit treten.
(Übrigens beziehen sich alle Zahlen, wenn nicht anders angegeben, auf die Woldometer-Zahlen vom 18.07.2020. )
Eine hoffnungsvolle Ausgangs-Konstellation
Covid-19 kann durch konsequente Eindämmungsmaßnahmen erstaunlich gut und schnell unter Kontrolle gebracht werden. Bei Begrenzung der Infiziertenzahlen und optimaler Einzelfallbetreuung der Infizierten kann die Todesrate sehr niedrig gehalten werden.
Diese Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Erfahrungen in mehreren Ländern, die die Ausbreitung der Infektion mit dem neuen Coronavirus innerhalb ihrer Landesgrenzen weitgehend gestoppt haben.
Beispiele hierfür finden wir nicht nur in südostasiatischen Ländern, wie in Vietnam (4 Infizierte/eine Million Einwohner, 0 Tote), Kambodscha (10 Infizierte/eine Million Einwohner, 0 Tote), Laos (3 Infizierte/eine Million Einwohner, 0 Tote), Thailand (48 Infizierte/eine Million Einwohner, 1 Toter/eine Million Einwohner), Malaysia (271 Infizierte/eine Million Einwohner, 4 Tote/eine Million Einwohner), Taiwan (19 Infizierte/eine Million Einwohner, 0,3 Tote/eine Million Einwohner) oder China (58 Infizierte/eine Million Einwohner, 3 Tote/eine Million Einwohner), sondern in mehr oder weniger ähnlich erfolgreichem Ausmaß auf allen Kontinenten:
- auf dem amerikanischen Kontinent weisen beispielsweise Kuba (218 Infizierte pro Millionen, 8 Tote pro Millionen), Uruguay (298 Infizierte/eine Million Einwohner, 9 Tote/eine Million Einwohner), erstaunlicherweise jedoch auch das durch Krisen und Konflikte geplante Venezuela (394 Infizierte/eine Million Einwohner, 4 Tote/eine Million Einwohner) gute bis exzellente Ergebnisse auf.
- in Europa sehen wir, dass Länder, wie die Slowakei (362 Infizierte/eine Million Einwohner, 5 Tote/eine Million Einwohner), Slowenien (933 Infizierte/eine Million Einwohner, 53 Tote/eine Million Einwohner), Tschechien (1283 Infizierte/eine Million Einwohner, 33 Tote/eine Million Einwohner) oder Griechenland (380 Infizierte/eine Million Einwohner, 19 Tote/eine Million Einwohner) die Ausbreitung lange Zeit aufhalten bzw. massiv verlangsamen konnten – auch wenn sich gerade in Tschechien die Zahlen nun deutlich verschlechtern.
- in Neuseeland (310 Infizierte/eine Million Einwohner, 4 Tote/eine Million Einwohner) ist ebenfalls eine sehr viel weitreichendere Eindämmung gelungen als in den meisten Ländern Westeuropas oder gar in den USA. Am Inselstatus liegt es nicht, den hat Großbritannien (4319 Infizierte/eine Million Einwohner, 666 Tote/eine Million Einwohner) auch.
- auf dem afrikanischen Kontinent hat Uganda (23 Infizierte/eine Million Einwohner, 0 Tote) durch frühe Eindämmungs- und Monitoringmaßnahmen bei sofortiger Bereitstellung von Behandlungskapazitäten für jeden Infizierten einen gefürchteten katastrophalen Ausbruch bisher effektiv entgegenwirken können – anders als das Nachbarland Kenia (237 Infizierte/eine Million Einwohner, 4 Tote. Dabei ist bezüglich Afrika zu berücksichtigen, dass dort die Pandemie – vorwiegend eingeschleppt aus Europa und den USA – wesentlich später begann, sich aktuell beschleunigt, aber sich wegen der geringeren Mobilität langsamer ausbreitet. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Situation Kenias bereits hochbedenklich. Uganda konnte die Infiziertenzahl bisher auf 1062 begrenzen. Diese Infizierten werden engmaschig medizinisch beobachtet und betreut, um sofort einzugreifen, wenn schwerere Symptome erkennbar werden. Im Ergebnis hat Uganda keinen Toten zu verzeichnen. Recht gut sieht es auch in Ruanda (115 Infizierte/eine Million Einwohner, 0,3 Tote/eine Million Einwohner) aus, welches ebenfalls auf frühe Aufklärung und Eindämmung setzte.
Noch eine weitere positive Botschaft ist aus den Zahlen zur Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu erkennen – selbst dort, wo Maßnahmen erst umgesetzt werden, wenn eine massive Ausbreitung bereits eingesetzt hat, kann diese noch gestoppt werden:
- die aktuell wieder massiv rückläufigen relativ geringen Infizierten- und Totenzahlen in Italien (am 17.07.2020 231 Neu-Infizierte, 11 neue Todesfälle) zeigen, dass auch späte Interventionen wirken.
- noch klarer wird diese Möglichkeit in China erkennbar (am 17.07.2020 10 Neu-Infizierte, 0 neue Todesfälle), welches das als erstes betroffene Land war, sodass die Maßnahmen erst einsetzten als bereits eine massive Verbreitung stattgefunden hatte.
- auch in Malaysia (am 17.07.2020 18 Neu-Infizierte, 0 neue Todesfälle) und Thailand (am 17.07.2020 3 Neu-Infizierte, 0 neue Todesfälle) konnte ein Ausbruch mit mehreren tausend Fällen nahezu komplett gestoppt werden.
Die Corona-Pandemie ist demnach eine Infektion, die durch gesellschaftliches Handeln nahezu vollständig eindämmbar ist, wenn entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.
Vietnam als weltweites Vorbild
Als ein geradezu leuchtendes Beispiel, wie ein Land nahezu komplett von dieser Epidemie verschont bleiben kann, sei Vietnam herausgegriffen:
- Vietnam hat bis heute insgesamt nur 382 Infizierte und keinen einzigen Toten zu verzeichnen. Vietnam hat 97 377 661 Einwohner. Pro eine Million Einwohner haben sich also lediglich 4 Personen infiziert. Aktuell gibt es 26 offene Fälle und nur einen kritischen Fall.
Konsequente Kontaktnachverfolgung
Pro Infizierten wurden dabei in Vietnam 720 Personen getestet, um alle möglichen Kontakte strikt nachverfolgen und die Ausbreitung der Epidemie im Kein ersticken zu können.
Zum Vergleich:
- in Deutschland (2416 Infizierte/eine Million Einwohner, 109 Tote/eine Million Einwohner) wurden pro Infizierten lediglich 34 Personen getestet.
in den USA 12 Personen und in Brasilien gar nur 2 Personen.
Frühzeitig reagiert
Bereits im Januar ergriff Vietnam bedeutsame Maßnahmen:
- Vietnam hatte noch vor dem ersten Infizierten seine Grenze zu China geschlossen und führte sofort eine landesweite Maskenpflicht bei Aufenthalt im Freien ein
Rasche Ausdehnung der Maßnahmen
Nachfolgend wurden in kurzer Folge Grenzen geschlossen, eine bis heute anhaltende obligatorische 14-tägige Quarantäne in Regierungseinrichtungen für sämtliche Einreisenden (vorwiegend zurückkehrende Vietnamesen) eingeführt, Restaurants (außer Lieferdienste), Clubs und Vergnügungsstätteneinrichtungen, sowie Schulen und Bildungseinrichtungen geschlossen und der freie Zugang zu Hotspots, in denen sich die Infektion ausbreitete, verhindert. Letzteres hat Deutschland erst nach den Lockerungen beispielsweise in Göttingen oder Berlin begonnen.
Behandlung und Isolation aller Infizierten
Alle Infizierten wurden und werden in Krankenhäusern behandelt und Vietnam stellt allen Erkrankten selbst modernste Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung – bis hin zur maschinellen Beatmung außerhalb des Körpers durch Sauerstoffanreicherung im Blut.
Dies ist einem Entwicklungsland wie Vietnam nur möglich, weil es gelang, die Fallzahlen sehr kleinzuhalten, sodass jeder einzelne Fall intensiv betreut werden kann. So sinkt die Todesrate dramatisch.
Nachhaltigkeit der Maßnahmen
Es gibt seit über zwei Monaten in Vietnam keine neue Ansteckung innerhalb der Landesgrenzen.
Nach wie vor herrscht eine landesweite Maskenpflicht im Freien, wobei auch Kinder aller Altersstufen im Unterricht selbstverständlich Gesichtsmasken tragen.
Dafür gibt es ansonsten – außer Abstandsgeboten im Inneren – keine Einschränkungen mehr und die Bevölkerung ist bereits weitgehend zur Normalität übergegangen, da sich die Maßnahmen als nachhaltig wirksam zeigen.
Während einige Beschränkungen an den Außengrenzen mittlerweile etwas gemildert sind, gilt nach wie vor eine ausnahmslose Quarantänepflicht:
- jeder, der nach Vietnam einreist, begibt sich für 14 Tage in eine staatliche Quarantäneeinrichtung, wobei hier auch Testungen stattfinden.
Immer wieder werden Infizierte auf diese Weise identifiziert, die entsprechend sofort isoliert und behandelt werden können. Gäbe es diese Maßnahmen nicht, würden Infizierte regelmäßig unbemerkt einreisen.
Eigenschutz und Solidarität
Diese Maßnahmen Vietnams dienen sicherlich vorrangig dem Schutz der eigenen Bevölkerung, einschließlich der Ausländer, die in Vietnam leben und sich dort nun viel sicherer fühlen können als beispielsweise in Europa oder den USA.
Gleichzeitig unterstützt Vietnam damit aber auch seine Nachbarn, wie das ärmere Kambodscha, um dort ebenfalls einen Ausbruch verhindern zu können. Der Beitrag zur Eindämmung im eigenen Land ist tatsächlich ein Beitrag zur weltweiten Eindämmung:
- aus Vietnam ausreisende Personen tragen jedenfalls anders als aus den USA oder Europa nicht zur weltweiten Ausbreitung dieser Pandemie bei.
Geduld und Beständigkeit
Die Maßnahmen Vietnams sind ein Beispiel für schnelles und konsequentes Handeln und die notwendige Einheit von Präventions- und Behandlungsmaßnahmen.
Sie sind ebenso ein Beispiel für eine Geduld, die ich mir auch für Europa oder die USA wünschen würde. Hätten sie sie gehabt, wäre die weltweite Situation heute wohl eine ganz andere gewesen.
Die Schließung aller Schul- und Bildungseinrichtungen wurde in Vietnam bereits Mitte Januar umgesetzt, die Neueröffnung liegt erst ca. sechs Wochen zurück. Maskenpflicht und Quarantäne werden weiterhin nicht infrage gestellt. Die Bevölkerung unterstützt nach allen Beobachtungen die Maßnahmen mit überwältigender Mehrheit.
Logik und Grundprinzip der Maßnahmen Vietnams war von Anfang an, eine relevante Ausbreitung der Epidemie innerhalb Vietnams komplett zu verhindern und die Maßnahmen so lange unverändert durchzuhalten bis Ansteckungen innerhalb des Landes nicht mehr stattfinden.
Das Ziel wurde erreicht und ein Großteil der Maßnahmen konnte so schließlich aufgehoben werden.
Vietnam zeigt hier eine bemerkenswerte Orientierung an Langzeit-Konsequenzen, anstatt lediglich kurzfristig an wirtschaftliche Gewinne zu denken. Vietnam hat erkannt, dass die Ausbreitung der Infektion langfristig viel schädlicher ist als das Herunterfahren des normalen Lebens für einige Monate.
Im Ergebnis belegt das Beispiel Vietnams, dass bei Orientierung an Langzeitzielen die Covid-19-Epidemie innerhalb erstaunlich kurzer Zeit unter Kontrolle gebracht und unter Kontrolle gehalten werden kann.
Dabei leben in Vietnam die Menschen wesentlich enger zusammen als beispielsweise in Deutschland, die Bevölkerungsanzahl Vietnams ist etwas höher und der Wohlstand ist geringer. Die Ausbreitungrisiken innerhalb Vietnams mit seiner riesigen Landgrenze zu China und einer großen Anzahl an internationalen Touristen waren zu Begin der Pandemie fraglos sehr hoch.
Die Maßnahmen und Erfahrungen Vietnams belegen übrigens auch, wie lächerlich die durch die USA, aber teilweise auch durch Großbritannien und andere kolportierte Behauptung ist, man habe sich wegen mangelnder Offenheit seitens China nicht ausreichend vorbereiten können:
- was Vietnam seit Mitte Januar wusste, konnten alle wissen, dies es wissen wollten und nicht allein auf der Basis der Hoffnung “was nicht sein soll, darf nicht sein“ den Kopf in den Sand steckten.
Unnötige Tote – unnötiges Leid
Die mehr als 9000 Toten in Deutschland, die 30152 in Frankreich, 9795 in Belgien, 35028 in Italien, die 5619 Toten in Schweden, 28420 in Spanien, 45233 in Großbritannien, die 198811 Toten in ganz Europa, die 77964 Toten in Brasilien, 38310 Toten in Mexiko oder die 142080 Toten in den USA wären bei konsequenter Eindämmung und Geduld zum allergrößten Teil vermeidbar gewesen.
Wären diese Toten aber vermieden worden, wäre auch die große Zahl künftiger Toter weltweit und speziell in zahlreichen Entwicklungsländern vermieden worden. Noch sind in Afrika “lediglich“ 14728 gestorben, aber die Totenzahl geht steil nach oben – auch als Ergebnis der Verantwortungslosigkeit derjenigen Staaten, in denen die Epidemie mit am ersten wütete und die sich einer konsequenten und nachhaltigen Eindämmung verweigerten.
Hätten sich alle Staaten und insbesondere die Staaten im zweiten weltweiten Schwerpunkt der Epidemie (Europa, USA) so Verhalten wie Vietnam, lebten wir bereits wieder in weitgehender Normalität und könnten guten Mutes auf die Entwicklung von wirksamen Medikamentne und Impfstoffen warten.
Irrationale Lockerungsautomatismen
Angela Merkel warnte vor Lockerungsorgien, was damals kritisiert wurde. In Wirklichkeit ist das Kritikwürdige, dass sie sich der vorschnellen Lockerung nicht entschieden entgegengestellt hat.
- das Modell der Lockerungen wurde weltweit aufgegriffen und bizarre Diskussionen über Lockerungen entstanden in vielen Ländern sogar noch während steigender Infiziertenzahlen.
Nach wie vor infizieren sich allein in den Ländern der EU tausende Menschen jeden Tag. Jeden Tag sterben Menschen, andere erleiden mehr oder weniger dauerhafte Schäden. Gleichzeitig wächst mit der erneuten Eröffnung des Reiseverkehrs jeden Tag die Gefahr des immer wieder erneuten Exports der Erkrankung in zahlreiche weitere Länder.
Die verfrühte Aufhebung von Schutzmaßnahmen in vielen Ländern ist ein Experiment mit der Bevölkerung, welches aktuell scheitert:
- fast jeden Tag wird weltweit ein neuer Rekord bezüglich der Neuinfizierten und Verstorbenen aufgestellt.
Beispiele verfrühter Lockerung
- im zunächst sehr erfolgreichen Israel führte die verfrühte Aufhebung der Schutzmaßnahmen zu einer explosionsartigen Zunahme der großen Neu-Infizierten, sodass nun wiederum Lockouts verhängt werden mussten.
- das zuvor vergleichsweise erfolgreiche Tschechien hob Anfang Juli die Maskenpflicht auf und erlebt nun eine sehr starke Zunahme der Fälle, die alles gefährdet, was dies Land zuvor erreicht hatte.
- Serbien hob vor den Wahlen die meisten Eindämmungsmaßnahmen auf, die hervorragenden Erfolg zeigten. Jetzt hat eine Eskalation der Neuinfektionen eingesetzt mit weitreichenden auch politischen Folgen.
- eine sehr ungünstige Entwicklungen seit Einführung von Lockerungen ist ebenfalls beispielsweise in Rumänien zu beobachten. In Albanien ist eine katastrophale Anzahl täglicher Neuinfektionen zu eingetreten.
- auf dem afrikanischen Kontinent sehen wir in Südafrika, wohin es führt, wenn Maßnahmen verfrüht aufgehoben werden. Anstatt alle Maßnahmen zu mobilisieren, um die sozialen Folgen für die Bevölkerung einzugrenzen, wurden massive Lockerungen in schnellem Tempo umgesetzt. Folge ist eine sehr starke Zunahme der täglichen Infektionen und der Todesfälle.
- auch in Österreich sehen wir steigende Infektionsfälle, nachdem Österreich durch Maskenpflicht und Abstandsgebote die Epidemie nach einer Phase der exponentiellen Ausbreitung noch vor Deutschland und anderen Ländern gut in den Griff bekommen hatte
USA und Brasilien als Gegenpol zu Vietnam
Zwei krasse Beispiele, wohin es führt, wenn wir nur an kurzfristige wirtschaftliche Gewinne oder gar unseren eigenen Wahlsieg denken, liefern die USA und Brasilien:
- die Präsidenten beider Länder haben sehr deutlich gemacht, dass für sie positive Wirtschaftszahlen über alles gehen und dass sie diese insbesondere auch für ihren persönlichen Sieg bei künftigen Wahlen für unerlässlich halten.
- der brasilianische Präsident hintertreibt so seit Monaten durch die Gouverneure erlassene Schutzmaßnahmen und trägt dadurch aktiv dazu bei, dass eine ausreichende Begrenzung der Epidemie bisher nicht gelungen ist. Er verharmlost Covid-19 als harmlose Grippe, während seine Schwiegermutter unter Beatmung liegt.
- jeden Tag sterben dabei in Brasilien mehr als 1000 Menschen, wobei diese Anzahl vor dem Hintergrund der sehr geringen Testrate (2,5 Tests auf einen Infizierten) als erhebliche Unterschätzung zu bewerten ist.
- in den USA zeigen Bundesstaaten, die dem Druck nach verfrühten Lockerungen nachgegeben haben, einen sehr starken Anstieg der Infizierten und auch die Anzahl der Toten ist – mit zu erwartender Verzögerung – erneut stark gestiegen, liegt gegenwärtig täglich bei 700–1000 pro Tag. Dies trotz mittlerweile verbesserter Behandlungsmaßnahmen, Einsatz von Remdesivir, Einsatz von Dexamethasone, mehr Erfahrung des medizinischen Personals bei der Behandlung der Patienten.
- die USA hatten zu keinem Zeitpunkt die Epidemie ausreichend eingedämmt, ergriffen ausschließlich zu späte und zu kurz andauernde Maßnahmen, selbst in New York, wo wir noch mehr als 1000 Fälle pro Tag sehen, was als ein relatives Positivbeispiel innerhalb der USA gilt!
Weltweite Schäden
Die negativen Folgen betreffen nicht nur die Länder und Regionen, die versagen, sondern die gesamte Welt:
- wären alle Länder gemeinsam dem Weg von Vietnam gegangen, wäre die Epidemie vermutlich bereits eingedämmt.
- Reisen könnten wieder frei stattfinden, die Wirtschaft könnte geöffnet werden
- zahlreiche Entwicklungsländer müssten nicht einen großen Anteil ihrer Ressourcen in die Bekämpfung der Epidemie stecken
- womöglich wäre gar Raum entstanden, um über grundlegende Änderungen nachzudenken, damit uns mit dem Klimawandel nicht weitaus schlimmeres bevorsteht.
Die Schuld für die rasante weltweite Ausbreitung der Epidemie liegt nicht bei China, sondern die Verantwortung tragen insbesondere die Staaten in Europa und die USA, die nach China als erste betroffen waren:
- Europa und die USA waren zeitlich der zweite Schwerpunkt der Epidemie nach China, wo die Epidemie erfolgreich eingedämmt wurde.
- aus China werden seit der Eindämmung keinerlei Fälle mehr in andere Länder der Welt exportiert.
- demgegenüber wurden aus Europa und den USA weitere Fälle in alle Kontinente getragen und dies hält an.
Auch hier bei uns in Kambodscha sind solche Importe mittlerweile am Flughafen fast täglich zu verzeichnen – innerhalb des Landes gibt es demgegenüber seit mehr als zwei Monaten keine Infektionen mehr.
Europa und die USA haben mit der Bekämpfung der Epidemie so lange gewartet und diese dann so inkonsequent und so ungeduldig durchgeführt, dass eine echte Eindämmung wie in China scheiterte und so eine weltweite Ausbreitung angefeuert wurde. Damit haben Europa und die USA der ganzen Welt eine schwere Bürde auferlegt.
Deutschland kein Vorbild
Mir fällt auf, dass Deutschland sehr mit sich zufrieden ist und sich bezüglich seiner Eindämmungsmaßnahmen gerne loben lässt. Dies lässt mir sogleich das Sprichwort einfallen “unter den Blinden ist der Einäugige König“.
Unstrittig ist, dass Deutschland – nachdem die Katastrophe in Italien direkt beobachtbar war – Maßnahmen ergriffen hat und durch diese Maßnahmen eine ähnlich katastrophale Entwicklung innerhalb Deutschlands verhindert wurde.
Dennoch hat auch Deutschland das Potenzial an Eindämmungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft, verweigerte viel zu lange eine Maskenpflicht und hat dadurch – ebenso wie andere Länder Europas – zum weltweiten Export der Erkrankung beigetragen.
Durch die von Anfang an unsinnige Aussage, Masken würden nicht wirken, wurden spätere Verschwörungstheorien gefördert, die nun unter Verweis auf diese damaligen Äußerungen Masken weiterhin für unwirksam erklären.
Der Anti-Maskenirrsinn war sogar monatelang hier in Südostasien zu beobachten, wo (nach den Grenzschließungen und Rücktransporten kleiner werdende) Gruppen von maskenfreien Europäern und USA-Amerikanern nicht einmal wahrnahmen wie rücksichtslos ihre praktizierte Arroganz war.
Deutschland und andere EU-Länder haben nach ihren ersten Erfolgen nicht gewartet bis die Infiziertenzahlen im einstelligen Bereich liegen, sondern haben vorzeitig Lockerungen durchgeführt und damit einer konsequenten Eindämmung der Epidemie und der Verhinderung der weltweiten Verbreitung eine Absage erteilt.
Manche mögen darauf verweisen, dass die Aufhebung der Lockerungen nicht verfrüht gewesen sei, da es ja nur noch wenige Neuinfizierte in Deutschland pro Tag gebe.
Mir scheint es einerseits gewagt, hunderte Neuinfektionen pro Tag als wenig zu bezeichnen. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Herbst und Winter zu einer zweiten Welle kommt. Um diese vorab zu begrenzen, ist es unerlässlich, die Infiziertenzahlen möglichst gegen null zu fahren. Es gibt zu vieles, was wir über diese Erkrankung noch nicht wissen.
Unsicherheit sollte zu besonderer Vorsicht führen.
Dennoch ist es richtig, dass die Zunahme der Fälle nach Einführung der Lockerungen in Deutschland bisher nicht stattgefunden hat. Die plausible Erklärung hierfür ist, dass die Lockerungen mit der Einführung der Maskenpflicht verbunden wurden.
Hätten die Maßnahmen unverändert 6 – 8 Wochen fortgedauert und wären mit einer Maskenpflicht im Freien verbunden worden, gäbe es heute vielleicht 3 – 10 Infizierte pro Tag, aber sicherlich keine 600.
Masken-Desaster
Bereits vor Covid-19 Zeiten zeigten wissenschaftliche Studien, dass Atemwegserkrankungen, wie die Influenza, durch das universelle Tragen von Masken zum Erliegen kommen.
Mittlerweile haben zahlreiche weitere Studien im Rahmen der Covid-19-Pandemie gezeigt, dass die verpflichtende Einführung von Masken zu den wirksamsten Maßnahmen überhaupt zählt, um diese Epidemie eindämmen zu können. Überall, wo Massen eingeführt wurden, sank – mit der zu erwartenden Verzögerung – die Infiziertenzahl. Studien schätzen, dass nach wie vor der weitreichende Gebrauch von Masken zehntausende Menschenleben retten könnte.
Jetzt erwägt selbst der Chef-Epidemiologe in Schweden, unter dessen Regie Schweden mit zu den weltweiten Spitzenreitern bezüglich der Anzahl der Covid-19-Toten geworden ist, die Empfehlung, Massen zu tragen.
Der Gouverneur Texas, der als radikaler Trumpanhänger für die verfrühte Wiedereröffnung und gegen eine Maskenpflicht eintrat, hat in Anbetracht der rasenden Zunahme der Infizierten-Zahlen in weiten Teilen seines Bundesstaates nun doch eine Maskenpflicht verhängt.
Masken sind ein Fremdschutz und ein Selbstschutz sind. Werden Masken universell getragen, brennt eine Atemwegsinfektion, wie Covid-19, quasi aus.
Bizarrerweise wird aber bereits jetzt in Deutschland über die Abschaffung dieser Maskenpflicht bereits diskutiert.
Masken reichen nicht
Trotz ihrer Wirksamkeit genügen Masken allein nicht und insbesondere dann nicht, wenn es bereits viele Infizierte in einem Gebiet gibt. Denn Masken können nur schützen, wenn sie auch getragen werden, was jedoch in Privathaushalten meistens nicht der Fall ist.
Haben sich Menschen erst infiziert, stecken sie sich nicht nur in Restaurants oder öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern ebenso in den Privathaushalten gegenseitig an.
Dafür, dass Masken allein nicht ausreichen, ist Japan ein Beispiel:
- in Japan werden Masken nahezu universal getragen. Gleichzeitig hat Japan nur sehr zögerlich tiefergreifende Maßnahmen zur sozialen Distanzierung ergriffen und auch diese nicht langfristig umgesetzt.
- im Ergebnis steht Japan zwar weitaus besser da als alle Länder Westeuropas oder die USA mit insgesamt 186 Infizierten und 8 Toten pro eine Million Einwohnern. Andererseits aber ist Situation in Japan deutlich kritischer und zudem instabiler als beispielsweise in Vietnam oder auch Thailand, wo zusätzlich zu Masken in hohem Ausmaß auf weitere Schutzmaßnahmen gesetzt worden ist.
- auch Japan ist insofern – trotz seines Vorteils durch Maskentragen – ein Beispiel für kurzsichtiges Denken. Anfangs interessierte man sich mehr für die Sicherstellung von Olympia als für die Eindämmung der Epidemie. Kleinreden mag subjektive Wahrnehmungen verändern, gegen Viren hilft es nicht, wie sich jeder, der hieran Zweifel haben mag, mit Blick auf die USA oder Brasilien sofort überzeugen kann.
Trauer über das Unvermögen der Menschheit
Die Covid-19-Epidemie, die eigentlich Anlass zu Optimismus geben könnte, gibt uns Anlass zur Trauer über das Unvermögen der menschlichen Gemeinschaft, notwendige und wirksame Maßnahmen gemeinsam, solidarisch, konsequent und mit der notwendigen Geduld für das Allgemeinwohl aller umzusetzen.
Diejenigen Länder und Gesellschaften, die vorwiegend kurzfristig und dabei vorrangig an sich selbst dachten, beschädigten nicht nur sich selbst, sondern alle anderen mit.
So muss Vietnam beispielsweise die relative Abschottung nach außen beibehalten, die es sicherlich gerne längst aufgegeben hätte, wenn die anderen Länder ebenso erfolgreich diese Pandemie bekämpft hätten.
Leben in einer Blase
Hier in Kambodscha, wo ich lebe, fühle ich mich in gewisser Weise in einer Blase:
- wie in Vietnam haben wir seit mehr als zwei Monaten keine einzige Infektion innerhalb des Landes zu beklagen.
- in Kambodscha werden alle Infizierten im Krankenhaus behandelt und alle Kontakte werden intensiv nach verfolgt. Jeder, der nach Kambodscha einreist, wird nicht nur hier in Kambodscha am ersten und elften Tag getestet, sondern muss sich ebenfalls 14 Tage in Quarantäne begeben.
Dennoch ist die Infizierten-Anzahl in den letzten zwei Monaten um fast ein Drittel auf jetzt insgesamt 171 stark angestiegen und nahezu jeden Tag treten neue Fälle unter Einreisenden auf.
Es handelt sich vorrangig um Kambodschaner, die aus den USA, Europa, Indien oder Saudi-Arabien nach Kambodscha zurückkehren.
Soeben wurden auch zwei US-amerikanische Diplomaten positiv getestet, zudem floh eine aus den USA eingereiste Khmer-US-Amerikanerin mit positivem Testbefund aus der Quarantäne.
Kambodscha gehört zu den ärmeren Ländern Südostasiens. Seine Wirtschaft boomte zwar vor Covid-19, trotzdem ist dies Land immer noch dabei, sich von der Herrschaft der Roten Khmer und des nachfolgenden Bürgerkrieges zu erholen.
Die Schließung zahlreicher Fabriken, die Schließung der meisten Hotels, der Zusammenbruch des internationalen Tourismus, die Schließung von Sport und Vergnügungsstätten, die Schließung aller Schulen und Bildungseinrichtungen, die Rückkehr zehntausender von Wanderarbeitern aus Thailand und der Verlust mehrerer 100.000 Arbeitsplätze – bei einer Gesamtbevölkerung von 15.000.000 – belastet dieses Land zutiefst.
Es ist der Regierung und der Bevölkerung aber bewusst, dass eine Ausbreitung der Infektion wie in Westeuropa oder den USA nicht zu bewältigen wäre und das Land in eine unermessliche Katastrophe stürzen könnte.
Deshalb muss Kambodscha – auch wenn es innerhalb des Landes bereits viele Maßnahmen wieder ausgesetzt hat und demnächst zur Probe einige Schulen wieder öffnen werden – an der Abschottung nach außen durch Testung und Quarantäne aller Einreisenden festhalten.
Damit fallen für das Land die Einnahmen aus dem Tourismus im Wesentlichen weg, ebenso wie auch viele wirtschaftliche Kooperationen zum Erliegen gekommen sind.
Kambodscha bezahlt den Preis für die Fehler anderer Länder – vorrangig der Staaten Westeuropas und der USA.
Nachlässigkeit als Brandbeschleuniger
Der mangelnde Wille zur Eindämmung dieser Epidemie in Europa und in den USA hat sich weltweit wie ein Brandbeschleuniger ausgewirkt.
Natürlich stehen Europa und die USA dabei nicht in Alleinverantwortung, auch anderen Staaten und Regierungen haben es an Konsequenz und insbesondere an Geduld bei der Bekämpfung diese Epidemie mangeln lassen. Jeder dieser Staaten schadet nicht nur seiner eigenen Bevölkerung, sondern allen Menschen.
Mittlerweile hat sich die Epidemie so stark weltweit ausgebreitet, dass allein eine Umkehr in Europa und in den USA nicht mehr ausreichend wäre.
Trotzdem gilt nach wie vor, dass jede Eindämmung in Europa und in den USA ebenso ein Beitrag zur weltweiten Eindämmung ist. Jede Eindämmung in Europa und den USA würde gleichzeitig Ressourcen freimachen, die den anderen Ländern, in denen die Epidemie weiter wächst, zur Verfügung gestellt werden könnte, wenn der Wille hierfür da wäre.
Wo liegen die Gründe?
Das Versagen bei der tatsächlich ohne weiteres möglichen Eindämmung dieser Epidemie kann und sollte uns dazu veranlassen, neu über unsere gesellschaftlichen Strukturen – nationaler und internationaler Art – nachzudenken.
Besonderer Anlass für Selbstkritik besteht dabei für die westlichen Staaten, gerade weil sie sich bei vielem als Vorreiter und Maßstab sehen, jedoch bei Covid-19 so schmerzlich und unsolidarisch versagt haben.
Zu wünschen wäre, dass wir beginnen würden, daran zu arbeiten, uns von nationalem oder regionalem Egoismus zu lösen, die Ideologie von freiem Markt und kurzfristigem Interesse infrage zu stellen und langfristig orientierte, nachhaltige politisch-gesellschaftliche Entscheidungs- und Handlungsstrukturen zu etablieren.
Freie Markt-Ideologie behindert Eindämmung
Derzeit besteht eine ideologische Selbstblockade, was erneut beim Thema Masken sichtbar wird:
- die weltweite Verfügbarkeit hochwertiger Atemschutzmaßnahmen würde nach allem, was wir wissen, einen enormen Beitrag leisten können, um die Covid-19-Epidemie in relativ kurzer Zeit zum Erliegen zu bringen.
- Staaten, die Marsmissionen durchführen können, könnten technisch und finanziell durchaus ebenso eine ausreichende Anzahl an Fabriken zur Herstellung hochwertiger Artenschutzmasken innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stellen und für die weltweite Verteilung dieser Masken sorgen. Das wäre sogar viel billiger, als weiterhin der Ausbreitung der Epidemie Tür und Tor offenzuhalten.
- es ist keine Frage des Könnens, sonders des Wollens. Anstatt eine massive und globale Anstrengung zur Produktion von Atemschutzmasken hoher Qualität zu unternehmen, wird national mit der freien Wirtschaft verhandelt und es werden monatelang tagende Kommissionen für Abnahmegarantien eingesetzt.
- wir sind ideologisch so selbst geknebelt, dass wir nicht einmal die Möglichkeit erwägen, staatlicherseits solche Fabriken einfach zu errichten, um die weltweite Covid-19 Katastrophe zu beenden. So geben wir uns abstruserweise damit zufrieden, dass wir wegen eines behebbaren Mangels auf eines der wirksamsten Instrumente der Eindämmung dieser Epidemie überhaupt verzichten.
In ähnlicher Form wird bei neuen Medikamenten unnötig über patentbezogenen Regelungen mit Unternehmen verhandelt, anstatt schlichtweg als Weltgemeinschaft die ausreichende Produktion und Verteilung nach Bedarf in die Hand zu nehmen.
Es spräche ja nichts dagegen, die Unternehmen dafür zu entschädigen.
Egoismus der Reichen unverändert
Neulich las ich in der europäischen Presse, dass die USA den Weltvorrat an Remdesivir aufgekauft habe. Die Verärgerung bezog sich lediglich darauf, dass womöglich nicht genug für Europa übrig bleiben werde.
Mich macht dieser europäische Egoismus sprachlos. Man scheint nicht einmal auf die Idee zu kommen, dass den Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika Remdesivir genauso rasch zur Verfügung gestellt werden muss wie den Menschen in Europa oder den USA.
Erinnerungen an HIV treten auf:
- noch 10 Jahre nach Verfügbarkeit der modernen Kombinationstherapie starben in der dritten Welt weiterhin HIV-Infizierte in großer Anzahl völlig unnötig an Aids, weil sie keinen Zugriff auf die modernen Medikamente hatten.
Soll sich dies mit Covid-19 nun wiederholen?
Versagen eingestehen
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Hören wir daher auf, uns selbst und anderen etwas vorzumachen:
- in der Covid-19 Krise haben Europa und die USA versagt. Wir wurden Zeuge eines Zusammenbruchs jeder Solidarität, nicht nur gegenüber Italien.
Umkehr statt “weiter so“
Für die westlichen Staaten ergibt sich daraus aus meiner Sichtweise als Konsequenz, dass sie aufhören sollten, sich selbst für ihre Demokratie oder ihren Einsatz für Menschenrechte zu loben und andere zu verdammen.
Sie sollten stattdessen mit gutem Beispiel vorangehen und nunmehr beginnen, tatsächlich solidarisch und menschenwürdig zu handeln.
Menschenrechtsrhetorik ist nicht überzeugend, wenn man selbst jeden Tag gegen Menschenrechte verstößt. Der Umgang der wohlhabenden Industriestaaten mit der Covid-19-Pandemie ist ein solcher Verstoß gegen die Menschenrechte aller.
Wir sehen nun, dass auch nach vielen Jahrtausenden menschlicher Zivilisation das psychologische Grundproblem der zu starken Abhängigkeit unseres Verhaltens von kurzfristigen Konsequenzen und der Insensitivität gegenüber den langfristigen Folgen unseres Handelns für unsere Gesellschaftsordnung prägend ist.
Auf welche Art auch immer brauchen wir eine Umgestaltung hin zu einer politisch-gesellschaftlichen und global vernetzten Entscheidung- und Handlungsstruktur, die sich nicht an rein kurzfristigen und gruppenegoistischen Zielen (z. B. wirtschaftliche Gewinne, Wahlsiege), sondern an den langfristigen, für das Wohlbefinden aller und unser Überleben notwendigen Zielen orientiert.
Covid-19 hat erneut den Beweis erbracht – und erbringt ihn jeden Tag weiter – dass eine solche Ordnung nicht besteht. Wir sollten uns nicht länger durch Selbstlob, Sonntagsreden über Solidarität und Menschenrechte oder andere Schönrednerei den Blick hierauf verstellen lassen.
Anlass sollte diese Pandemie aber auch für alle einzelnen von uns sein, uns selbst zu fragen, wo wir kurzfristig denken, egoistisch handeln und wie wir dies ändern können.
Vielen Dank für den ausführlichen Artikel mit Vergleichszahlen aus andern Ländern. Ich stimme der Grundaussage zu, dass kurzfristiges wirtschaftlich orientiertes Denken und Handeln absolut kontraproduktiv ist, wenn es darum geht, die Pandemie einzudämmen. Psychologisch gesehen ist die Maskenpflicht mir allerdings ein Graus, ich sehe nur vermummte Personen, jeder kommuniziert “Abstand, Abgrenzung” und das Grundgefühl der Angst wird permanent im Alltag genährt. Da brauche ich eine Balance, das ist schlecht fürs persönliche Immunsystem.
Mir ist aufgefallen, dass in dem Artikel ungewöhnlich viele Rechtschreibfehler enthalten sind, “Masten” statt “Masken” kommt öfters vor. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Artikels. Vielleicht noch mal mit innerlichem Abstand drüberschauen!!!!
Vielen Dank für den Hinweis zu den “Masten”, was ich korrigiert habe. Ich diktiere Artikel in ein Sprachverarbeitungsprogramm und überlese bei der Korrektur dann immer mal wieder Rechtschreibfehler.
Masken sind nun leider oder zum Glück die mit am wirksamste Maßnahme. Wenn beide Seiten eine Maske tragen, reduziert sich das Ansteckungsrisiko enorm. Abstand reicht nicht, weil immer deutlicher wird, dass die Übertragung auch über kleinere Aerosole stattfindet, die sich weit im Raum bewegen und lange in der Luft stehen können.
Menschen sind sehr anpassungsfähig und können unter ganz anderen Bedingungen dennoch zufrieden und glücklich werden. Wir können lernen, mit Masken miteinander direkt und klar zu kommunizieren, sodass hier kein Defizit zu entstehen braucht.
Es ist eine Frage der Interpretation:
Wenn Sie Masken als etwas interpretieren, was den zwischenmenschlichen Austausch behindert, werden Sie es so erleben. Wenn Sie es andere interpretieren, werden Sie es anders erleben.
Ich trage durchgängig draußen seit Mitte Januar eine Maske und fühle mich immer besser, wenn andere Menschen dies auch tun. Das wechselseitige Tragen von Masken kann auch als wechselseitige Sorge und Rücksicht interpretiert werden. Insofern scheint es mir ratsam, die eigene Einstellung zu Masken in diesen Pandemie-Zeiten zu verändern.
Ihr Satz ist in meinen Augen sehr richtig und wichtig: Wenn wir die Masken als etwas Gutes begrüßen, weil sie uns in der derzeitigen Situation helfen, stören sie uns auch nicht, wir können sie leicher akzeptieren. Es ist eine Frage der Haltung und der Entscheidung, was wir wie sehen wollen.
Mir fehlt ehrlich gesagt manchmal das Verständnis, wenn die Menschen sich über die Maskenpflicht beklagen … (“Es reicht”, “Ich habe genug”). Ist das nicht der kleinste Preis, den wir zur Eindämmung der Pandemie zu leisten haben? Ärzte und Krankenschwestern/Pfleger, die die Masken den ganzen Tag lang tragen müssen (manche sogar komplette Schutzanzüge), was würden wir tun, wenn sie anfangen würden, sich zu beklagen und nicht mehr bei der Arbeit erscheinen!?!?
Ich sehe es genau wie Sie als eine Frage der Haltung an. Wieso ist die Akzeptanz für dieses einfache Schutzmittel bei einigen Menschen so gering? Ich sehe hier einerseits Prozesse der Katastrophisierung, indem man sich gegenseitig hochschaukelt und so aus einer insgesamt doch recht kleinen Veränderung eine riesige Angelegenheit macht. Andererseits kommt es wohl auch von der leider noch weit verbreiteten Fehlannahme, dass Masken nicht wirken würden. Dabei kommt eine aktuelle Studie auch beim neuen Corona-Virus (wie bereits eine vorherige zur Grippe) zum Ergebnis, dass bei 80 % Maskencompliance die Epidemie endet. Der Irrglaube an die mangelnde Wirksamkeit resultiert auch aus kulturellen Vorurteilen (was man nicht kennt, braucht man nicht, Asiaten tragen Masken, weil sie ihr Gesicht nicht zeigen wollen), aber ebenfalls aus einer falschen Strategie der politischen Entscheidungsträger und Medien zu Beginn der Epidemie, die die Wirksamkeit von Masken kleinredeten. Umso wichtiger ist es nun, die Maske als ein positives Symbol des Schutzes, der Rücksicht, der Sicherheit und damit auch der Befreiung (von Hilflosigkeit und Gefahr) populär zu machen. Je besser dies gelingt, desto besser werden wir diese Epidemie in den Griff bekommen.
Ihre Texte zum Thema Corona lese ich immer noch mit Interesse, weil sie wertvolle Denkanstöße liefern aus Perspektiven, über die man selten liest. Inhaltlich stimme ich ihnen in vielen Punkten zu, allerdings habe ich Probleme mit ihrem oft vorwurfsvollen und moralisch urteilenden Stil. Zumindest wirkt es so, denn sie benutzen oft stark wertende Begriffe wie unsolidarisch, rücksichtslos, dissozial usw.
Natürlich gibt es Menschen, die sich offen rücksichtslos uns unsolidarisch verhalten. Jedoch frage ich mich, ob hinter solchen Verhaltensweisen nicht in Wahrheit tief sitzende Ängste stecken, die nicht ausgesprochen und eingestanden werden. Meine These ist, ob es nicht der bessere Weg wäre, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen, statt sie einfach nur als unsolidarisch, als rücksichtslos oder verantwortungslos zu brandmarken.
Ich selbst habe z.B. wahnsinnige Angst davor, irgendwann mal (z.B. als Kontaktperson) in häusliche Quarantäne geschickt zu werden, weil ich fürchte, es könnte traumatische Erinnerungen aus meiner Kindheit antriggern. Ich habe diese Angst benannt und daraufhin schon im Vorfeld überraschende Unterstützungsangebote bekommen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Meine Therapeutin hat mir zugesagt, mich im Quarantänefall mit regelmäßigen Telefon- und Videokontakten zu unterstützen. Mein Arzt hat mir ein Beruhigungsmittel verschrieben, damit es nicht zu Angst- und Panikattacken kommt. Nach einigem Herumtelefonieren habe ich herausgefunden, dass auch der sozialpsychiatrische Dienst sozialpädagogische Begleitung anbietet für Menschen, die unter häuslicher Quarantäne stehen. Mit dem sozialpsychiatrischen Dienst hatte ich ein längeres Telefongespräch, wo man meine Ängste sehr ernst genommen hat. Dieses Gespräch hat viel dazu beigetragen, meine Quarantäneangst ein ganzes Stück abzumildern.
Leider ist über solche Hilfsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, ich musste das alles in Eigeninitiative herausfinden. Seitdem bin ich umso mehr davon überzeugt, dass es mit Vorwürfen und moralischen Verurteilungen der „Corona-Kritiker“ nicht getan ist. Es müsste viel deutlicher kommuniziert werden, dass niemand mit seinen Ängsten (egal ob berechtigt oder unberechtigt) allein gelassen wird. Die Botschaft müsste sinngemäß sein:
„Ja, viele Maßnahmen zur Corona-Pandemie können hart, belastend und entbehrungsreich sein. Es wird aber in dieser schweren Zeit niemand allein gelassen. Wem es psychisch schlecht geht und wer es aus eigener Kraft nicht schafft, bekommt Hilfe und Unterstützung!“
Es gab Menschen (sogar von amtlicher Seite), die mir genau dieses Gefühl vermittelt haben und dafür bin ich dankbar. Ich bin überzeugt, nur mit solchen Botschaften kann man Menschen erreichen und mitnehmen. Wer sich verurteilt und moralisch an den Pranger gestellt fühlt, der wird sich umso mehr in seine eigene Welt zurückziehen. Ängste benennen und miteinander im Gespräch bleiben ist der einzige Weg, der alle Seiten weiterbringt.
Ich strebe eigentlich keinen vorwurfsvollen Ton an, wenn ich aber die Aussagen auf den Corona-Demonstrationen mir anschaue (und zwar das Video-Material, was die Veranstalter selbst einstellen), sehe ich kaum andere Wertungsmöglichkeiten.
Man sieht dort sehr wenig Angst, aber dafür sehr viel Egozentrismus, Nationalismus, Vorwürfe gegen alle, die anderer Meinung sind, Behauptungen, diejenigen, die die Epidmeie eindämmen wollen, wären schlimmste Verbrecher.
Auch denkt man nicht darüber nach, was wäre, wenn man sich irrt, und was man damit dann anrichten könnte. Man handelt, als ob man unfehlbar wäre und blendet die möglichen Folgen aus. Furcht, Angst oder Ängstlichkeit führen eher zum Gegenteil.
Ich glaube zudem, dass bezüglich des “Verurteilens” und “an den Pranger stellens” es umgekehrt ist. Die Verurteilungen gehen durch die Corono-Kritiker aus, die allen anderen vorwerfen, Schwerverbrecher zu sein. Dies ist der Grund, warum eben dann auch diese Positionen kritisch eingeordnet werden.
Ganz anders ist Ihr eigenes Erleben zu bewerten:
Natürlich machen Quarantänemaßnahmen Angst und selbstverständlich besteht auch hier eine Verpflichtung zur Solidarität, die Sie ja auch glücklicherweise erfahren. Ihre Angst ist völlig nachvollziehbar und die Gesellschaft steht in der Pflicht, Ihnen und jedem, der solche Angst erlebt, zu helfen.
Angst macht es vielen Menschen auch, dass sie oder ihre Lieben sich auf den Intensivstationen wiederfinden könnten. Genau diese Angst, obwohl sehr berechtigt, wird von den Kritikern nicht einmal im Ansatz reflektiert oder anerkannt und dies ist ein Grund, warum ich diese als unsolidarisch betrachte.
Angst führt oft dazu, dass wir Dinge vermeiden, uns besonders vorsichtig verhandeln, uns an Orte nicht trauen, Konflikten aus dem Weg gehen. Bei zu viel Angst, tun wir zu wenig.
Angst allein kann das ausgesprochen offensive Verhalten der Corona-Kritiker und auch deren Beiträge in den sozialen Netzwerken nach meiner Einschätzung nicht erklären. Es demonstrieren eher die, die zu wenig Angst vor Gefahren erleben, und die dann ihre Angstfreiheit in der Tat nach meiner Einschätzung unsolidarisch ausagieren.
Ich habe ja auch eine Reihe von Nachrichten von Corona-Kritikern erhalten. Angst konnte ich dort nie wahrnehmen, wohl aber viel Egozentismus und ein bemerkenswert geringes Mitgefühl mit den Leidenden und Toten (“Sterben gehört zum Leben”, “sind alle über 80”, “hatten Diabetes”, “lebten ungesund”, “wären sowieso bald gestorben”).
In Erinnerung geblieben ist mir auch eine Dame, die auf meinen Verweis auf einen besonders schweren Verlauf mit der Äußerung reagiert, der Betreffende wäre selbst schuld, weil er keine Darmreinigung gemacht habe. Was kann einem dazu noch einfallen?
Ich halte solche Formulierungen bzw. Gedanken weder für einen direkten noch für einen indirekten Ausdruck von Angst. Wer sich fürchtet, meint noch lange nicht, dass es nicht so schlimm sei, wenn andere sterben. Typischerweise wäre eher das Gegenteil zu erwarten.
Die starke Nähe der Demonstrationen zu rechtem und auch rechtsextremen Denken sehe ich ebenfalls nicht als einen Indikator für Angst, sondern für einen Mangel an Empathie.
Aber natürlich gibt es überall Grautöne und in jeder Menge sind auch manche, die eigentlich den Motiven der Menge nicht entsprechen. In diesem Sinne mag bei einigen auch Angst eine Rolle spielen und sicherlich gilt nicht für alle, dass das unsolidarische Verhalten, was sie zeigen, tatsächlich tiefgreifend verinnerlicht ist.
Ich habe lange versucht, mit Corona-Kritikern, die mich anschrieben, zu diskutieren. Ich bin dabei aber entweder auf massive Beschimpfungen gestoßen: “Menschen wie Sie gehören nicht in das neue Deutschland“, schrieb mir eine Psychotherapeutin, oder aber es erfolgten keinerlei inhaltliche Antworten, sondern das Zusenden immer neuer Tiraden und Links, ohne dass Argumente ausgetauscht wurden. Es gab nie eine Antwort auf irgendeinen Aspekt, auf den ich hinwies, obwohl ich mich bemühte, Punkt für Punkt die Ausführungen der Kritiker aus meiner Sicht zu beantworten.
Jedenfalls bei denen, die mit mir kommunizierten, war kein ängstlicher Mensch dabei, auch hintergründige Angst konnte ich nicht erkennen.